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Abiturientinnen und Abiturienten besuchen Auschwitz und Krakau

Erlebnisse in einer eindrucksvollen Ausstellung dokumentiert
24 Abiturientinnen und Abiturienten der Kopernikusschule Freigericht besuchten im Rahmen eines freiwilligen schulischen Projektes kürzlich die Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau. Auch eine Erkundung des ehemaligen jüdischen Viertels Kazimierz in Krakau stand auf dem Programm. Die Gedenkstättenfahrt wurde von den beiden Lehrkräften Susanne Kremp und Pfarrer Reinhard Dahlke intensiv vorbereitet und begleitet.
An mehreren Tagen beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit den beiden ehemaligen Konzentrationslagern Auschwitz und Birkenau. Vormittags vermittelte eine Führerin die historischen Fakten an Ort und Stelle und erzählte zudem vom Leben konkreter Personen, die in den Lagern ermordet worden sind. Das grausame Geschehen wurde durch das Kennenlernen von zahlreichen authentischen Einzelschicksalen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fahrt unmittelbar erfahrbar. An den Nachmittagen vertieften die Jugendlichen ihre Eindrücke durch den Besuch von Ausstellungen der einzelnen Länder, aus denen die Opfer in Auschwitz und Birkenau stammten. Besonders beeindruckt waren die jungen Menschen von einem Projekt in der israelischen Ausstellung, dem „The Book of Names“. In einer Art riesigem Buch haben israelische Historiker bisher die Namen von über vier Millionen Menschen zusammengetragen, die während der Shoa von den Nationalsozialisten ermordet wurden. 
 Zudem besuchten die Abiturientinnen und Abiturienten einen Workshop im Stammlager, bei dem sie sich intensiv mit den Biografien einiger Täter wie dem Arzt Josef Mengele oder KZ-Aufsehern beschäftigten. „Es war für mich sehr erschreckend zu erfahren, dass die meisten Täter von Auschwitz nicht psychisch krank, sondern davor auch einmal ‚ganz normale Menschen‘ waren“, fasste eine Schülerin das Ergebnis des Workshops für sich zusammen.
Am letzten Tag hatten die Schüler aus Freigericht die Gelegenheit, den „Marsch der Lebenden“ im Lager Birkenau zu erleben. Menschen aus aller Welt, zum Teil noch Überlebende der Lager oder deren Angehörige, versammeln sich an diesem Tag im Stammlager und marschieren zum Lager Birkenau, um dort der Opfer zu gedenken. Die Schülerinnen und Schüler gedachten an diesem Tag ebenfalls der ermordeten Menschen, indem sie sich an den authentischen Orten gegenseitig Texte von ehemaligen Lagerhäftlingen vorlasen und so versuchten, deren Schicksal im Lager nachzuvollziehen.
Das vielfältige jüdische Leben vor dem zweiten Weltkrieg und heute stand dagegen bei einer Stadtführung im ehemaligen jüdischen Viertel Kazimierz in der Stadt Krakau im Mittelpunkt, wobei die Schülerinnen und Schüler auch die polnisch-jüdische Küche probierten. Natürlich durfte auch ein Besuch der ältesten Universität Polens, in der der Namensgeber unserer Schule, Nikolaus Kopernikus, studierte, nicht auf dem Programm fehlen. 
Ihre Erfahrungen und Erlebnisse haben die Abiturientinnen und Abiturienten in einer eindrucksvollen Ausstellung dokumentiert, die alle Angehörige der Kopernikusschule während der Schulzeit im Oberstufentrakt besuchen können. „Auch wenn es teilweise schwierig war, sich der Geschichte so nah und intensiv zu stellen, bin ich doch sehr froh, dass ich mitgefahren bin. Es war nicht nur körperlich, sondern auch mental anstrengend, alles zu verarbeiten. Diese Konfrontation mit den vielen Namen und Gesichtern der Opfer, vor allem den Schicksalen der vielen Kinder, die in Auschwitz ermordet wurden, war manchmal sehr belastend. Allerdings war die Atmosphäre in der Gruppe und auch die gemeinsame Reflexion sehr unterstützend und auch unsere Lehrer Frau Kremp und Herr Dahlke standen uns zur Seite. Wir alle haben nun einen viel emotionaleren Zugang zu Auschwitz und vor allem verbinden wir nun den Ort nicht mehr nur mit Fakten, sondern auch mit Gesichtern“, so die Schülerin Amelie Raacke. 

Ein Erfahrungsbericht von Amelie Raacke, Q4d

Meine Erfahrungen in Auschwitz-Birkenau

Bei meiner Studienfahrt nach Auschwitz vom 27. April bis zum 1. Mai 2019 besuchten wir unter anderem das ehemalige Stammlager Auschwitz und das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Auch wenn ich in dieser Zeit versucht habe, die Informationen sachlich und distanziert aufzunehmen, ist mir die Verarbeitung nicht immer leichtgefallen. Im folgenden Text beschreibe ich eine innere Auseinandersetzung mit mir selbst und warum es wichtig ist, sich mit dem Holocaust zu beschäftigen.
Vor allem der letzte Tag ist mir im Gedächtnis geblieben. Es war das erste Mal während unserer Zeit in Polen schönes Wetter, die Sonne schien und es war angenehm warm. Wir fuhren zum zweiten Mal in das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, um uns an verschiedenen Stellen im ehemaligen KZ Texte von Überlebenden gegenseitig vorzulesen. Überraschend fern schien das Schicksal dieses Ortes in der warmen Vormittagssonne und es wirkte trotz unseres Schweigens fast wie ein netter Spaziergang. Ich ließ meinen Blick über die mittlerweile schöne, grüne Landschaft mit vereinzelten Gebäuderesten schweifen und war mit meinen Gedanken nicht wirklich bei den Texten. Wir liefen entlang der Gleise, die zum traurigen Symbol des Gefangenenlagers geworden sind. Vor uns sah ich ein Pärchen mit einem kleinen Kind über die Gleise steigen und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Das Mädchen balancierte schnell über die Gleise und sprang auf der anderen Seite wieder runter. Das Bild schien mir so gruselig-paradox. Das Sinnbild für Liebe und Unschuld an einem so hasserfüllten und schuldigen Ort.
Ich hatte den Besuch im Stammlager und in Birkenau an den vorherigen Tagen größtenteils rational betrachtet. Mir gefielen die Ausstellungen, aber alles war so surreal und weit weg. Doch in diesem Moment konnte ich es vor meinem inneren Auge sehen und es war näher als es mir lieb war: Die gleiche Szene, 80 Jahre zuvor. In diesem Fall wäre es nicht ein bildender Familienausflug gewesen, sondern der Weg in den sicheren Tod. Ich schaute mich weiter um. An diesem Tag, dem 1. Mai, fand der sogenannte „March of the living“, zu deutsch, „Marsch der Lebenden“ statt, bei dem jüdische Gruppen traditionell am Yom Hashoa (Holocaust-Gedenktag) mit einem Marsch durch die ehemaligen Konzentrationslager der Opfer gedenken. Neben uns, auf der anderen Seite der Gleise, lief eine große, junge Gruppe von vermutlich Jüdinnen und Juden, viele sahen bedrückt aus, ein paar von ihnen weinten. Ich sah ein jüdisches Mädchen, etwa in meinem Alter, mit einer großen israelischen Flagge über ihren Schultern. Sie schaute auch zu mir rüber und für wenige Sekunden hielten wir den Augenkontakt. Noch nie zuvor hatte ich mich für den Holocaust verantwortlich gefühlt oder ein schlechtes Gewissen gehabt, doch in diesem Moment war ich froh, dass man Nationalitäten nicht im Gesicht erkennen kann.
Mein Lehrer hatte vor unserem Besuch zu uns gesagt, dass wir schweigen sollen, um auch der Opfer zu gedenken. Aber taten wir das? Oder besser gesagt, war es uns überhaupt gestattet, das zu tun? Noch ein paar Minuten zuvor hatte ich nur an meine Rückenschmerzen und das Mittagessen gedacht. Und auch abgesehen davon fühlte ich mich nun völlig fehl am Platz. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht das Recht hatte, mich schon wieder einzumischen, natürlich auf einer anderen Ebene als es die Nazis taten, aber dennoch war ich hier. Und die Gleise zwischen uns und der jüdischen Gruppe fühlten sich in dem Moment an wie eine unüberbrückbare Distanz.
Wir gingen weiter zu einem großen Denkmal ungefähr in der Mitte des Lagers. Hier stand auf Gedenktafeln in vielen verschiedenen Sprachen ein kurzer Text als Gedenken und Erinnerung, auch auf Deutsch. 1,1 Millionen umgebrachte Menschen ist eine unvorstellbare Menge, aber ich versuchte es trotzdem. Ich dachte an all die Familien und Kinder, die wie die Familie vorhin hierher kamen. Ich dachte an Holocaust-Leugner und rechtspopulistische Politiker, an Antisemiten oder Rassisten und auch an all die Menschen, die auch heute auf Grund ihrer Überzeugung, Religion oder Sexualität auf der ganzen Welt getötet werden.
Im Stammlager stand an einer Wand in der Austellung: „It happened, therefore it can happen again.“ Dieser Satz sprang in meine Gedanken und ließ mich schaudern und ich wurde zugleich wirklich wütend. Wenn auch nur ein Bruchteil dieses Ausmaßes, dieser Qualen und dieses Tötens in der Welt so jetzt gerade passiert, dann können wir das doch nicht einfach hinnehmen!
Und da wurde es mir bewusst. Es geht hier nicht um Schuld, ich war nicht dabei und ich verurteile diese Verbrechen genau so wie die Angehörigen der Opfer. Hier geht es um Verantwortung, die wir alle haben, damit sich so etwas nicht vor unseren Augen wiederholt. Ich habe keine Vorstellung, was die Gefangenen in diesem Lager durchgemacht haben und auch generell nicht, in welchem Ausmaß hier gemordet wurde. Und wenn schon ich diese meilenweite Distanz zum Holocaust fühle, wie wird es dann in 200 Jahren sein? Die Generationen nach mir dürfen diesen Ort nicht immer mehr wie eine einfache, schöne Landschaft betrachten, sondern als das Mahnmal, das er ist. Schon bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben und dann liegt es an uns dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.
Ja, es tut weh und es ist unangenehm, sich damit zu beschäftigen, aber es würde noch mehr wehtun, wenn sich wieder vermehrt der „Hass des Anderen“ in unsere Gesellschaft drängt. Und wenn ich die Richtung anschaue, in die sich nicht nur Europa, sondern die ganze Welt bewegt, dann sind wir wahrscheinlich auf einem traurigen Weg dorthin. Es wirkt weit weg, aber es ist vermutlich näher, als wir es uns vorstellen können.
Deshalb müssen wir gemeinsam mit Kommunikation und Akzeptanz dafür sorgen, dass Orte wie Auschwitz-Birkenau eben nur eine Gedenkstätte bleiben, und die Gleise zwischen uns nur still gelegte Gleise sind, über die sogar ein kleines Kind einfach drübersteigen kann.

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